Reifenfachverband sieht Probleme für den Reifen-/-pannenservice
Seit gut zehn Jahren ist die Ausrüstung von Personenkraftwagen mit Reifendruck-Kontrollsystemen Pflicht (ab 01.11.2012 für neu typengenehmigte, ab 01.11.2014 für alle neu zugelassenen Fahrzeuge), so dass diese auch RDKS genannten Systeme im Fahrzeugsegment Pkw mittlerweile zum Standard gehören. Viele Fahrzeughersteller haben sich in der Erstausrüstung für direkt messende Systeme entschieden, die den Luftdruck mithilfe von Sensoren in den einzelnen Reifen messen und bei Abweichungen vom Sollwert eine Warnanzeige im Armaturenbrett auslösen. Indirekte RDKS hingegen kommen ohne Zusatzkomponenten aus: Sie werten die vom Antiblockiersystem (ABS) generierten Signale der Raddrehzahlsensoren aus und erkennen Druckabfälle anhand von Differenzen in den Abrollumfängen der Reifen oder Abweichungen der charakteristischen Schwingungsfrequenz des einzelnen Reifens.
Auch im Segment Nutzfahrzeuge sollen RDKS jetzt zur Standardausrüstung werden. Schon seit Juli vergangenen Jahres sind sie für neu typengenehmigte Fahrzeuge der Fahrzeugklassen N1-3 (Kfz zur Güterbeförderung, z. B. Lkw, Lieferwagen), M2+3 (Kfz zum Zweck der Personenbeförderung, z. B. Busse, Wohnmobile > 3,5 t zulässiges Gesamtgewicht, zGG) und O3+4 ((Sattel-)Anhänger > 3,5 t zGG) vorgeschrieben, ab Juli 2024 werden sie für alle neu zugelassenen Fahrzeuge dieser Klassen Pflicht. Der Reifenfachhandel, der in Deutschland rund 90 % der Reifen-/Pannenservicearbeiten im Segment Nutzfahrzeuge abwickelt, sieht das derzeit mit Sorge, denn noch sind viele Fragen zum RDKS-Handling beim Reifenservice an Lkw, -Anhängern und Bussen offen. „Bei Fahrzeugen, die der RDKS-Pflicht unterliegen, ist das Reifendruck-Kontrollsystem Bestandteil der Allgemeinen Betriebserlaubnis (ABE)“, so erklärt Michael Schwämmlein, Geschäftsführer Technik beim Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV). „Damit die ABE nicht erlischt, muss jederzeit sichergestellt sein, dass das RDKS nach einem Reifenpannenservice oder einem regulären Reifenservice, wie z. B. dem Wechsel von Zugfahrzeugen auf Winterbereifung oder dem achsweisen Reifentausch bei Trailern, wieder ordnungsgemäß funktioniert.“ Hier sieht der Reifenfachverband jedoch noch einige Hürden für seine Mitglieder, denn die RDKS-Thematik ist im Nutzfahrzeugbereich um einiges komplexer als bei Pkw. Die wesentlichen „Knackpunkte“:
Aktuell ist davon auszugehen, dass (außer evtl. bei Transportern der Fahrzeugklasse N1) keine indirekten, sondern nur direkte (RDKS-Sensor-basierte) Systeme zum Einsatz kommen werden. Hierbei gibt es jedoch viele Sensor-/Ventilvarianten, die Reifenservicespezialisten sowohl vom Handling als auch von der Lagerhaltung (Ersatzsensoren) her vor Herausforderungen stellen. Hinzu kommt: Bei den motorisierten Fahrzeugeinheiten (also z. B. Busse oder Sattelzugmaschinen) wird der Zugang zur OBD-Schnittstelle des Fahrzeugs, der etwa für das Konfigurieren oder Anlernen von RDKS-Sensoren erforderlich ist, von einigen Fahrzeugherstellern immer mehr eingeschränkt. Über die im Reifenhandel für den RDKS-Service an Pkw weit verbreiteten Handheld-Geräte zur RDKS-Diagnose und -Programmierung wird dann eine Wiederherstellung der RDKS-Funktion nach Reifenservice oder Pannenhilfe nicht zu leisten sein. Und: Fahrzeuge mit „Autolocation“-Funktion, die ein selbstständiges Anlernen oder Erkennen einer neuen Sensor-ID oder -position sichert, setzen meist einen mehr oder weniger langen Fahrzyklus voraus, und das wiederum die entsprechende, meist aber nicht vorhandene Fahrerlaubnis des Servicepersonals.
Weitere Probleme ergeben sich daraus, dass neben motorisierten Fahrzeugen erstmals auch nicht motorisierte, gezogene Fahrzeugeinheiten von der RDKS-Pflicht betroffen sein werden. Diese besitzen weder ein eigenes Steuergerät noch eine OBD-Schnittstelle und haben im abgekoppelten Zustand auch keine Spannungsversorgung – ein Problem für die RDKS-Diagnose und -Programmierung. Anstelle eines „echten“ (sensorbasierten) RDK-Systems sind zudem für Anhänger/Trailer alternativ auch Reifendruckfüll-/-regelsysteme zulässig, zu deren Prüfung und Wartung in den Servicewerkstätten des Reifenhandels aber derzeit noch kaum etwas bekannt ist.
Fragen über Fragen, von denen einige laut BRV auch seitens der Fahrzeughersteller nach wie vor ungeklärt sind, z. B.: Welche Systeme – RDKS oder Reifendruckfüll-/-regelsystem (wenn RDKS: mit welcher Sensoranbindung – Gurt-, Band-, Ventilbefestigung oder in den Reifen eingeklebter Container?) setzt der jeweilige Fahrzeughersteller ein? Wie kann das Konfigurieren/Anlernen der RDK-Steuerung nach einem Positionswechsel oder Austausch einer Komplettradeinheit/eines Sensors erfolgen? Welche Hard-/Software ist hierfür erforderlich? Gibt es Zugangsbeschränkungen zur RDK-Steuerung, für die der Servicebetrieb eine Freigabe benötigt (Secured Gateway, Passwort…)? Wie sieht es aus, wenn nur der Trailer allein ohne Spannungsversorgung für den Reifenservice zur Verfügung steht? Ist dann eine externe Spannungsversorgung für die Steuereinheit des RDK-/Reifendruckfüll- oder -regelsystems erforderlich?
„Die Zeit läuft“, so sagt BRV-Technik-Experte Schwämmlein. „Unser Ziel ist es natürlich, den Mitgliedern unseres Verbandes wie seinerzeit bei der – weitaus weniger komplexen – Thematik der RDKS-Einführung bei Pkw praktische Hilfestellungen für das Handling der am Markt verfügbaren Probleme zu geben.“ In einer breit angelegten Aktion hat der Bonner Reifenfachverband deshalb jetzt an die Verbände des Güterverkehrsgewerbes und die Kooperationszentralen des Reifenhandels appelliert, auch ihre Mitglieder für die Thematik zu sensibilisieren und im Schulterschluss mit dem BRV vor allem auch die Fahrzeughersteller um rasche Klärung der zahlreichen offenen Fragen zu bitten.
Quelle: bundesverband-reifenhandel.de
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