Mehr Eigenverantwortung, weniger Kontrolle: Im Interview mit Michael Niehaus („BILD am Sonntag“) zum Tag des Handwerks fordert ZDH-Präsident, dass auch Politik und Gesellschaft sich ein Beispiel am Handwerk nehmen. Denn es ist Zeit, zu machen!
Das Motto der aktuellen Kampagne lautet „Zeit, zu machen“. Was ist aus Ihrer Sicht das Wichtigste?
Wir alle, nicht nur die Politik oder das Handwerk, sondern die Gesellschaft, müssen begreifen, dass wir unser Glück selbst in der Hand haben. Dass es darauf ankommt, die Themen zu definieren, mit denen wir wieder vorankommen. Und vor allem: Dass wir entsprechend handeln müssen, zum Beispiel bei der Wettbewerbsfähigkeit. Deutschland ist derzeit in vielen Bereichen nicht wettbewerbsfähig, wegen der Steuern und Abgaben, wegen der hohen Energiekosten, wegen Bürokratie und vieler anderer Dinge. Wir müssen an vielen Schrauben drehen, damit es wieder besser wird und aufwärtsgeht.
Was muss die Politik tun?
Das Handwerk braucht mehr Sicherheit und Verlässlichkeit politischer Entscheidungen. Ständig ändert sich etwas, ist nicht klar, was wie lange gilt. Es gab schon Fördertöpfe, die waren nach 24 Stunden ausgeschöpft. So kann man nicht planen. Die Leute investieren nicht in neue Heizungen oder Ähnliches, wenn sie nicht wissen, was auf sie zukommt. Und gleiches gilt für betriebliche Investitionen. Man muss die Rahmenbedingungen auch so setzen, dass die Leute wieder Lust haben, zu investieren, sich selbstständig zu machen und Risiken einzugehen. Da hapert es im Moment gewaltig. Deshalb sind die Investitionen im Moment viel zu gering. Ich glaube nicht, dass es am Geld dafür fehlt, sondern das liegt an der Unsicherheit. Hier muss Politik entschlossener handeln, wie auch im Steuerrecht oder bei Sozialleistungen. Es lohnt sich auch, über den Tellerrand in andere Länder zu schauen und sich Anregungen zu holen, was dort vielleicht besser läuft. Möglicherweise käme man ja zum Schluss: etwas mehr Eigenverantwortung der Menschen und weniger Kontrolle durch den Staat.
Was müssen die Unternehmen tun?
Unsere Branche muss sich natürlich an Veränderungen und technologische Entwicklungen anpassen. Aber ich sehe das Handwerk weniger als andere Wirtschaftsbereiche in der Gefahr, durch Künstliche Intelligenz ersetzt zu werden. ChatGPT kann kein Haus bauen. Keine Frage: Auch im Handwerk müssen wir Digitalisierung und KI integrieren. Sie bieten dem Handwerk viele Potenziale, um effizienter zu arbeiten. Um diese Potenziale zu nutzen, brauchen wir junge Menschen, die bereit sind, im Handwerk zu arbeiten und diese Modernisierungsprozesse mitzugestalten. Um noch mehr Menschen für das Handwerk zu gewinnen, müssen wir in dieser ungewissen Krisenzeit denen, die Sicherheit und Zukunftsperspektiven suchen, noch deutlicher machen: Im Handwerk können wir genau das bieten – Berufe mit Sinn, Sicherheit und Perspektive. Dafür gibt es bereits tausende Beispiele.
Ist KI eine Chance für das Handwerk?
Ich finde sie spannend und faszinierend. Ich sehe kaum Risiken für das Handwerk, sondern vor allem Chancen. Denn natürlich kann eine KI kein Haus bauen, aber beispielsweise Ideen geben, wie man das Haus gestalten kann. KI könnte auch unterstützen, Bauanträge zu bearbeiten, Energieeffizienz zu optimieren oder Kosten zu kontrollieren. In meinem Betrieb versuchen wir gerade, einen Dachroboter zu bauen, der eintönige Arbeiten übernehmen kann, und wir arbeiten auch mit ChatGPT, womit wir unter anderem Serienbriefe erstellen. Das spart Zeit und Geld. Die Bandbreite der Möglichkeiten ist riesig und noch längst nicht ausgereizt.
Ist KI auch ein Thema für die Nachwuchsförderung?
Definitiv. Es gibt genug junge Leute, die eine handwerkliche Tätigkeit faszinierend finden. Die aber immer noch das Klischee im Kopf haben, im Handwerk ist es vor allem körperlich anstrengend. Das schreckt einige ab. Da eignen sich digitale Themen, in denen sich junge Menschen zu Hause fühlen, hervorragend, um zu zeigen, wie viel Digitales und technologisch Neues gerade auch im Handwerk stecken. Denn es gibt auch genug junge Leute, die nicht den ganzen Tag im Büro sitzen wollen. Wenn denen klar wird, dass wir das im Handwerk zusammenbringen – eben Hand und Kopf -, dann werden wir ganz sicher auch für junge Menschen attraktiver. Aber das müssen wir noch mehr zu den Jugendlichen, den Eltern und den Schulen bringen, damit sie sehen, welches Potenzial im Handwerk für die berufliche Zukunft steckt.
Geht das auch über höhere Löhne?
Die Löhne im Handwerk sind in vielen Bereichen deutlich gestiegen. Die Betriebe wollen ihren Leuten mehr Geld geben. Die gläserne Decke, die wir jetzt haben, hängt mit unseren Lohnzusatzkosten zusammen. Die steigen gerade stetig durch Beschlüsse der Regierung. Das belastet das Handwerk als lohnintensiven Bereich besonders. Wegen immer höherer Kosten sehen sich Betriebe irgendwann gezwungen, Preise zu erhöhen. Aber es gibt einen Preis, ab dem sich der Kunde das nicht mehr leisten kann. Da müssen wir aufpassen, dass das nicht eintritt. Doch schon jetzt gibt es im Handwerk Aufstiegsmöglichkeiten, bei denen das Gehalt dann locker mit dem eines Bachelors mithalten kann. Wenn Sie Meister werden, verdienen sie bezogen auf die gesamte Lebensarbeitszeit vergleichbar viel wie ein Bachelor.
Wenn Sie einen Tag Bundeskanzler wären, was würden Sie direkt für das Handwerk umsetzen?
Ich würde den enormen Anteil der kleinen und mittelständischen Betriebe stärker in den Fokus rücken. Das Handwerk hat 5,6 Millionen Beschäftigte und eine Million Betriebe. Wenn wir dafür sorgen, dass es dem Handwerk gut geht, dann bringt das Stabilität für die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft. Damit meine ich, dass Gesetze für den Mittelstand gemacht werden sollten und nicht – wie aktuell – erst einmal orientiert an den Großen. Über 90 Prozent der Unternehmen in Deutschland sind klein und mittelständisch. Machen wir doch die Gesetze für die Masse und nicht für die Ausnahme. Und wenn diese Gesetze dann auch noch verständlich wären, wäre es noch besser.
Quelle: https://www.zdh.de/
Bild: ZDH/Sascha Schneider